Ein Text von Heinz-Dieter Lechte
Leitlinie Gerechtigkeit oder Gleichheit? Vermittlung in Partei und Gesellschaft.
Neben den gängigen, mehr oder weniger bekannten, Begriffen des Marxismus, Produktionsverhältnisse und Produktionsweise, gibt es einen weiteren Begriff, der eher wenigen geläufig ist, die Betriebsweise. Karl Marx nutzt diesen Begriff für die Verwandlung manufakturmäßiger Strukturen in industrielle fabrikmäßige Verhältnisse. Er spielt hier eine Rolle, weil marxistische Wissenschaftler wie Joachim Bischoff oder im ND vom 29. März 2023, Stephan Krüger, Digitalisierung, KI, Plattformökonomie eine neue Betriebsweise nennen. Sie deute sich erst an, existiere bislang in keinem Land über die Breite des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses. Bislang sei sie nicht mehr als das Attribut einzelner Nationen, sei aber auf internationale Kooperation angewiesen.
Ich hatte kürzlich im Bezirk Altona in einer Einführung in die Digitalisierung Gelegenheit darzulegen , dass sie erst unter anderen Produktionsverhältnissen ihr positives Potential entfalten könne, denn „Konkurrenz ist die größte Bremse der Entwicklung der Produktivkräfte und deren Anwendung. Was immer von Wissenschaft und Technik von Arbeitskraft erfunden wurde, entwickeln kann es sich nur innerhalb der Logik der Konkurrenz im Kapitalismus. Das bedeutet Verschwendung der Ressourcen Arbeit und Natur. Das wird besonders sichtbar, wenn sich Nutzen erst in Kooperation entfalten kann.“1
Leider ist kein „internationales Akkumulation- oder Weltwirtschaftsregime“ in Sicht, so Stephan Krüger. „Im Gegenteil ist die Gefahr immens gewachsen, dass ein erneuter Epochenwechsel in Weltwirtschaft und Weltpolitik wiederum mit Krieg […] einhergehen wird.“ Anders als die „soziale Marktwirtschaft“ sprenge „die vollgültige Inwertsetzung der Betriebsweise von Digitalisierung und Dekarbonisierung tendenziell die kapitalistische Systemgrenze und wird nur unter veränderten fundamentalen Produktionsverhältnissen ihre Produktivitätspotentiale vollständig entfalten können.
Daraus schließt der Autor, eine „sozialistische Marktwirtschaft“ sei der legitime Erbe der staatlich gelenkten Privatwirtschaft (Mixed economy) „und zugleich die niedere Phase einer kommunistischen Gesellschaftsformation.“
Auch Marx und Engels sprechen von dieser Phase des Übergangs zum Kommunismus, so Marx in der Kritik des Gothaer Programms, Engels im Anti- Dühring und beide im Manifest der Kommunisten. Dass diese Phase wiederum aus verschiedenen Etappen besteht, versteht sich von selbst. Engels sagt zum Beispiel, wenn die Produktion der Leitung durch Aktiengesellschaft wirklich entwachsen sei, dann erst die Verstaatlichung ökonomisch unabweisbar geworden sei, aber nur dann sozialistisch genannt werden dürfe, wenn sie zur Besitzergreifung aller Produktivkräfte durch die Gesellschaft selbst erfolge.
Typisch Engels, belegt er das auch mit einem Beispiel: „Allerdings, wäre die Verstaatlichung des Tabaks sozialistisch, so zählten Napoleon und Metternich mit unter den Gründen des Sozialismus.“
Ist die Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln erfolgt und die bürgerliche Warenproduktion überwunden, hat man die niedere erste Phase des Kommunismus verlassen. Man ist aber immer noch in einer Leistungsgesellschaft, wenn der individuell Leistungsstärkere, egal ob via Lohn oder Arbeitskonten, besser gestellt sein wird. Denn „[d]ies gleiche Recht ist gleiches Recht für ungleiche Arbeit. Es erkennt keine Klassenunterschiede an, weil jeder nur Arbeiter ist wie der andre; aber es erkennt stillschweigend die ungleiche individuelle Begabung und daher Leistungsfähigkeit der Arbeiter als natürliche Privilegien an. Es ist daher ein Recht der Ungleichheit, seinem Inhalt nach, wie alles Recht“ (MEW19. 19ff).
Die staatlich gelenkte „soziale Marktwirtschaft“ reguliert sich angeblich durch den Mythos von der „unsichtbaren Hand des Marktes“ wie von selbst.
„Sozialistische Marktwirtschaft“ ist das Konzept der Volksrepublik China. Die Eigenbezeichnung lautet etwa „Sozialistische Marktwirtschaft chinesischer Prägung.“ Es handelt sich um kapitalistisches Wirtschaften unter Führung und Kontrolle der KP/CH. Basis ist makroökonomische Planung der Partei und Regulation quasi über Planerfüllung bzw. Planabweichung.
Als Lenin mit Unterstützung von Bucharin in der SU notgedrungen die NEP (neue ökonomische Politik) einführte, war seine Hauptsorge „die Herren Kapitalisten“ könnten sich nicht nur bereichern, sondern auch politische Ambitionen anstreben. Vor diesem Hintergrund prägten bereits Marx und Engels den Begriff der Diktatur des Proletariats, die nötig sei um eine Konterrevolution zu verhindern. Die KP/CH hat seit Deng Xiaopeng keinen Zweifel daran gelassen, dass sich die Herren Kapitalisten gerne vor allen anderen bereichern dürfen, sich die KP/CH aber anders als die KPdSU sich nicht die „Fahne vom Stadttor nehmen lassen wird“.
Was könnte nun „Sozialistische Marktwirtschaft“ für die Bundesrepublik meinen? Politisch ist sie an das Mehrparteiensystem bürgerlicher Demokratie gebunden. Was anderes ist nach den GG der BRD für eine Partei, die dem Parteiengesetz der BRD unterliegt, auch gar nicht möglich. Auch nach dem Erfurter Parteiprogramm ist der Sozialismus der Partei ein „Demokratischer Sozialismus“. Sprechen wir dann von einer „Sozialistischen Marktwirtschaft“ kann dies nur ein System demokratischer Prägung sein.
Dies bedeutet zunächst deutliche parlamentarische Mehrheiten für ein alternatives Wirtschaften, dann aber auch eine Wählerschaft, an der konterrevolutionäre Verdummung abprallt, und zwar auf der Basis von Wissens über das Wesen des Kapitalismus nebst einer sozialistischen Erzählung, die begeistert. Wie das gesellschaftlich gelingen kann, dafür gibt es kein Beispiel.
Wer bezweifelt, dass dies rückblickend auf Jahrtausende lange Indoktrination der Massen, überhaupt möglich ist, den darf man ernst nehmen.
Wie tief jeder einzelne von der kapitalistischen Produktionsweise geprägt ist, hat der 26-jährige Marx beginnend mit den „Pariser Manuskripten“ bis zur persönlichen Übergabe des Manuskriptes von „Das Kapital Band 1“ an seinen Hamburger Verleger kurz vor seinem 49. Geburtstag, mit den Begriffen Entfremdung, Entäußerung, Verdinglichung und Fetischcharakter, beschrieben. 4
Darin geht es darum, zwischen Erscheinungsebene und Seinsebene zu unterscheiden, wahrzunehmen, dass Dinge lange nicht immer so sind, wie sie erscheinen – hier konkret in der warenproduzierenden Gesellschaft. Kauft jemand irgendein Gebrauchsgut und er gefragt wird, was das gekostet hat, gibt er als Antwort einen Geldbetrag. Mit millionenfacher Wiederholung muss sich der Gedanke festsetzten, Geld produziere Jeans, Waschmaschinen, Schuhe oder ähnliche Waren, wobei schon mit leichtem Kratzen mit dem Fingernagel die darunterliegende Wahrheit sichtbar wird: Geld produziert gar nichts, sondern menschliche Arbeitskraft ist Produzent dieser Werte. Der Fetisch Geld verbirgt das! Arbeitskraft und Natur können in einer auf Kostenrechnung basierenden Wirtschaft nicht wirklich als das wahrgenommen werden, was sie sind, nämlich kostbare Ressourcen mit denen pfleglich zum Nutzen aller umzugehen ist. Keine Arbeiter:innen Demokratie käme auf die Idee, ihre Menschen hoch zu qualifizieren, um sie dann z.B als Mathematiker einzusetzen, die Derivate entwickeln oder betrügerische Versicherungsprodukte für Hochbetagte. Kein Arbeitender würde sich daran beteiligen, Produkte des täglichen Bedarfs zu produzieren, die er selbst niemals freiwillig konsumieren würde usw.
Lenin wusste es mir der NEP, und auch Wissenschaftler der DDR wussten, dass mit der kapitalistischen Kostenrechnung auch das damit verbundene Denken reproduziert wird.
Den Unterschied macht es, ob man dieses Dilemma erkennt und so wenig wie möglich reproduziert oder ob man sich aus Unwissen oder Populismus noch an seiner Verbreitung beteiligt, wie es vielfach in der Partei geschieht.
Unten sind zwei Bände verlinkt, deren Titel, „Wirtschaftsmärchen“ und „Warum Menschen sowas mitmachen“ der Kritik an Bildungs-und Öffentlichkeitsarbeit der Partei Namen geben bzw. aufzeigen, was wir nicht leisten.2
Es ist schon mal zu sehen, wie im Internet Aussagen von Rosa Luxemburg zu den Produktivkräften missbraucht werden, um darunter Ressourcen mit Geld zu verwechseln. Muss das sein?
Ökonomisches Basiswissen ist in der Linken vermutlich immer noch weiter verankert als in den anderen Parteien im Bundestag, wurde aber von den Älteren vor langer Zeit erworben, und den Genoss:innen schon im mittleren Alter fehlt das Angebot. Typisch für eine Partei im Parlamentarismus ist die Begegnung mit Politikwissenschaften alltäglicher als der Ausbau vorhandenen ökonomischen Wissens. Dieser Text soll eine Anregung sein, das zu ändern.
Als Beispiel ein Aspekt des innerparteilichen Papiers „Stolpern, hinfallen und aufstehen“ von Thomas Goes.
Dieser Aspekt ist Kritik am bisherigen Leitbegriff der Partei, der Gerechtigkeit, getragen von dem in der Gesellschaft verankerten Leistungsprinzip und dessen Ersetzung durch den Begriff Gleichheit als Kritik am Leistungsprinzip.
Zwar fehlt der Bezug, aber grundsätzlich ist das kompatibel mit der Kritik von Karl Marx, wobei dieser die generelle Ungleichheit des Leistungsprinzips wie oben beschrieben, für eine Übergangsgesellschaft akzeptiert.
Wer sich ein bisschen mit der Arbeitswelt auskennt, der weiß, dass Lohnabhängige fair behandelt und gerecht bezahlt werden wollen. Dass es im Kapitalismus keinen gerechten Lohn geben kann, ändert daran erstmal nichts. Thomas Goes meint auch nicht speziell gleichen Lohn, sondern: „Das Gemeinsame, das Zusammenführende, Identitätsstiftende, der rote Faden […] sollte der Kampf für Gleichheit sein, für soziale und für politische Gleichheit, […] die es uns ermöglicht, verschieden zu sein, uns zu entfalten, wirklich frei zu sein: Gleichfreiheit […]!“3
Auch das antikommunistische Netzwerk „Progressive Linke“ vollführt diesen Schwenk. In ihrem Papier: „Mut statt Angst. Für eine erkennbare demokratische Linke in Deutschland und Europa“ bezeichnet sie Freiheit und Gleichheit als ihren Kompass, während die Bewegungslinke am Sozialismus festhält. Dies nur als Anmerkung.
Zurück zur Bewegungslinken. Wenn sie, nach Austausch in einer innerparteilichen Debatte, jenseits eines ökonomischen Übergangs, politische Gleichheit als Leitlinie in der Partei durchsetzen will, muss sie auch ein Konzept für die Vermittlung in die Leistungsprinzip-Gesellschaft vorlegen. Jene, die meinen, die Gesellschaft wolle von uns nicht aufgeklärt werden, müssen trotzdem der Öffentlichkeit erklären und begründen, wenn DIE LINKE dem Leistungsprinzip abschwört. Dass Sahra Wagenknecht dafür ist, reicht nicht als Grund.
Thomas Goes meint, die Probleme der Partei „wurzelt sehr wohl auch im unvermittelten Nebeneinander linkssozialistischer, reformkommunistischer, trotzkistischer, poststalinistischer, sozialdemokratischer und linksliberaler Ansätze.“ Was auffällt, es fehlt eine Gruppe, die immer größer wird: es sind die Antikommunisten der Partei. Nicht selten sind es ehemals in SED oder DKP organisierte Stalinisten oder Produkte der antikommunistischen Staatsideologie der BRD.
Heinz-Dieter Lechte, 8. August 2024
- https://was-tun-hamburg.de/die-drei-apokalyptischen-reiter-des- kapitalismus/
- 2. Wirtschaftsmärchen, Patrick Schreiner, Kai-Eicker-Wolf und Patrick Schreiner, Warum Menschen sowas mitmachen – beide PapyRossa.
- 3. https://www.links-bewegt.de/de/article/875.stolpern-hinfallen-und- aufstehen.html
4. Leseprobe aus den Pariser Manuskripten: „Worin besteht nun die Entäußerung der Arbeit?
„Erstens, daß die Arbeit dem Arbeiter äußerlich ist, d.h. nicht zu seinem Wesen gehört, daß er sich daher in seiner Arbeit nicht bejaht, sondern verneint, nicht wohl, sondern unglücklich fühlt, keine freie physische und geistige Energie entwickelt, sondern seine Physis abkasteit und seinen Geist ruiniert. Der Arbeiter fühlt sich daher erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich. Zu Hause ist er, wenn er nicht arbeitet, und wenn er arbeitet, ist er nicht zu Haus. Seine Arbeit ist daher nicht freiwillig, sondern gezwungen, Zwangsarbeit. Sie ist daher nicht die Befriedigung eines Bedürfnisses, sondern sie ist nur ein Mittel, um Bedürfnisse außer ihr zu befriedigen. Ihre Fremdheit tritt darin rein hervor, daß, sobald kein physischer oder sonstiger Zwang existiert, die Arbeit als eine Pest geflohen wird. Die äußerliche Arbeit, die Arbeit, in welcher der Mensch sich entäußert, ist eine Arbeit der Selbstaufopferung, der Kasteiung. Endlich erscheint die Äußerlichkeit der Arbeit für den Arbeiter darin, daß sie nicht sein eigen, sondern eines andern ist, daß sie ihm nicht gehört, daß er in ihr nicht sich selbst, sondern einem andern angehört. Wie in der Religion die Selbsttätigkeit der menschlichen Phantasie, des menschlichen Hirns und des menschlichen Herzens unabhängig vom Individuum, d.h. als eine fremde, göttliche oder teuflische Tätigkeit, auf es wirkt, so ist die Tätigkeit des Arbeiters nicht seine Selbsttätigkeit. Sie gehört einem andren, sie ist der Verlust seiner selbst.“